Warum?
Im Zuge des Kunstprojekts erhalten im Viertel seit vielen Jahren bekannte Drogenabhängige wie Mike, Cora und Rolf erstmals öffentlich ein Gesicht. Der Fotograf Ulrich Mattner hat gemeinsam mit der ehemals drogenkranken Jennifer Blaine neun langjährige Drogensüchtige nach ihren Weihnachtswünschen gefragt und fotografiert. „Wichtig war es, sie nicht – wie meist in den Medien – krank oder auf Entzug abzulichten“, berichtet Mattner. „Wir haben sie als unsere Nachbarn fotografiert, so wie sie uns hier im Viertel oft begegnen.“ Jennifer Blaine gelang es, das Vertrauen der Drogenabhängigen zu gewinnen und sie für das Projekt zu begeistern. Die Plakate der Street-Gallery mit den Fotos und den Weihnachtswünschen gestalteten Fabian Parusel und Sebastian Buruiana der im Viertel ansässigen Agentur next PR.
Ziel des Kunstprojekts ist es, den Drogenkranken eine Stimme zu geben. Viele leben schon seit 20 oder 30 Jahren unter schlimmsten Bedingungen auf der offenen Drogenszene in Elbe- und Niddastraße. Um den Entzug zu bekämpfen, Krankheitsschmerzen zu lindern und dem trostlosen Alltag zu entfliehen, konsumieren sie täglich Drogen im Wert bis zu 100 Euro und mehr. Beschaffungskriminalität, Betteln und Prostitution schon ab fünf Euro sind die gängigen Wege der Drogenbeschaffung. Viele versetzt das oft verwahrloste und schwerkranke Äußere in Angst und Schrecken. Für etliche langjährige Bewohner des Viertels gehört die Drogenszene jedoch zum Stadtteil ebenso wie Künstler, Händler, Rotlicht und Barbetreiber. Für sie haben Drogenkranke Namen, Gesichter und Lebensgeschichten. Nicht wenige geben ihnen Geld für Lebensmittel, Zigaretten, Kleidung – auch mit dem Wissen, dass dafür auch Drogen gekauft werden.
Haben Alkoholiker überall leicht Zugang zu Bier, Wein und Schnaps, führt die Abhängigkeit von illegalen Drogen unweigerlich in die Kriminalität. Es gibt kaum ein profitableres Geschäft als den Handel mit Kokain oder Heroin. Kosten 10 Gramm reines Kokain in Kolumbien um die 10 Euro, zahlen Dealer hierzulande dafür bis zu 500 Euro. Gestreckt u.a. mit Milchzucker, Schmerztabletten, Entwurmungsmitteln, Psychopharmaca und Coffein – kostet es auf der Straße ein Vielfaches. Wegen dieser enormen Gewinnspanne sind die vielen Razzien der Polizei ein Kampf gegen Windmühlen. Für jeden festgenommenen Dealer stehen neue parat, um in das lukrative Geschäft einzusteigen.
Die Ausstellung „Lost Christmas – Weihnachtswünsche aus der Elbestraße“ wirbt um mehr Verständnis für Drogensüchtige als Schwerkranke. Sie ist ein Impuls, um die dramatische Situation der Schwerstabhängigen im Bahnhofsviertel zu verbessern. Dazu bedarf es neuer Wege und Gesetzesinitiativen. Wichtig ist eine Diskussion führender Drogenexperten, wie dem Elend in Deutschlands reichster Stadt endlich ein Ende gemacht werden kann. Es kommt darauf an, Tabus wie die kostenlose Ausgabe von harten Drogen an Schwerstabhängige im Bahnhofsviertel oder die Zentralisierung der Szene in einem Gebäude (statt der bisherigen Aufteilung auf drei Konsumräume) zu diskutieren. In Zürich ist es gelungen, die Drogenkranken von der Straße zu holen, obwohl das Drogenproblem dort noch viel größer war. Wir sind uns sicher, dass dies auch in Frankfurt gelingen kann.